Die Krise des Marketings

Wenn die Marketing Manager so viel Kompetenz haben wie der Autor des Artikels, wundert er mich nicht, dass sie keinen Einfluss in ihren Unternehmen mehr haben. (hfk)

Unternehmensführung

Von Thorsten Hennig-Thurau

Die einstige Königsdisziplin gilt in vielen Unternehmen nur noch als Beiwerk. Schuld sind kurzsichtige CEOs, aber auch die Zunft selbst. Ein Weckruf.

Beginnen wir mit einer recht niederschmetternden Feststellung: Das Marketing ist heute in vielen Unternehmen keine treibende Kraft. Zwei Drittel der Vorstandsvorsitzenden der größten deutschen Unternehmen sind Naturwissenschaftler, Ingenieure oder Juristen, nur jeder fünfte CEO hat zuvor im Marketing gearbeitet. Und es kommt noch schlimmer: Nur 10 Prozent aller CEOs gaben laut einer Fournaise-Studie an, die Arbeit ihrer Marketingmanager zu schätzen. Da scheint es fast schon konsequent, dass einige Firmen wie beispielsweise der US-amerikanische Online-Dienst AOL, der Unterhaltungskonzern Walt Disney und der Unterhaltungselektronikhändler Best Buy Marketing als Vorstandsaufgabe für überflüssig halten. Marketing ist in vielen Unternehmen zu einer Unterabteilung degradiert worden, die gerade mal als Schnittstelle mit der Werbeagentur fungiert oder die operative Preissetzung übernimmt.

Dabei war Marketing doch eigentlich ganz anders gedacht. Wie hat es die Managementlegende Peter Drucker so treffend gesagt: Marketing ist die gesamte Geschäftstätigkeit, betrachtet aus der Ergebnisperspektive – nämlich der des Kunden. Der amerikanische Ökonom Philip Kotler und der Münsteraner Marketingpionier Heribert Meffert haben daraus das Konzept der marktorientierten Unternehmensführung gebaut, nach der nur erfolgreich sein wird, wer sich ganzheitlich an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden orientiert und entsprechende Angebote macht. Mit anderen Worten: Kundenorientierung ist der Dreh- und Angelpunkt für erfolgreiches Wirtschaften, und Kundenzufriedenheit ist die maßgebliche Grundlage für finanziellen Erfolg.

In der Praxis ist wenig zu sehen vom Marketing als Konzept, das sich an den Kundenwünschen ausrichtet und als Beziehungspartner agiert. Stattdessen wird das Marketing missbraucht, um zu übertreiben und zu tricksen – oft ohne Rücksicht auf den Kunden oder ein besonderes Interesse an ihm und seinen Bedürfnissen. Marketing steht für endlose Schlussverkäufe (“30 Prozent auf alles! Nur bis morgen!”), reißerische Werbeversprechungen (“Ein Leben lang gratis telefonieren!”), aufdringliche Verkäufer (Staples’ “Market Basket”-Ansatz, bei dem der beworbene PC nur dann “vorrätig” ist, wenn der Kunde auch üppige Zusatzleistungen kauft), Direct Mailings (die Vertraulichkeit heucheln und doch das Geschlecht des Empfängers verwechseln) und miesen Service, der sich vor dem Kunden versteckt (Versuchen Sie mal, bei manchen Fluglinien die Ihnen rechtlich zustehende Entschädigung für einen aus internen Gründen gecancelten Flug zu bekommen – ohne Anwalt scheint mir das derzeit aussichtslos). Die Kunden haben sich daran gewöhnt, dass Marketing sich nicht für ihre Zufriedenheit interessiert – sondern ihnen das Geld aus der Tasche ziehen will, inklusive Ratenkredit und Verschuldung. Selbst BWL-Studenten assoziieren Marketing häufig nicht mehr mit Kundenorientierung, sondern mit Manipulation. Um es mit den Worten meiner Lokalzeitung zu beschreiben: “Marketing gilt vielen als sogenannte ‘Bullshit’-Branche, die die Wahrheit verschleiert und Krempel schmackhaft macht, den niemand braucht.”

Unterschätzter Einfluss

Hier beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz: Je weniger das, was sich als Marketing ausgibt, sich für Kundenwünsche interessiert, desto geringer fällt die Wertschätzung der Zunft innerhalb der Unternehmen aus – und vice versa. Denn der Anspruch des Marketings auf die Führungsrolle im Unternehmen ergibt nur Sinn, wenn Marketing sich als Schnittstelle versteht, die den Kunden nicht als leichtgläubigen Abnehmer profitgenerierender Unternehmensangebote erachtet, sondern ihm eine aktive Rolle als Wertschöpfungspartner zuweist. Marketing muss die Kundenwünsche ins Unternehmen tragen und dort dafür sorgen, dass diese Wünsche in Produkte und Dienstleistungen transformiert werden, die die Kassen klingeln lassen.

Viele CEOs aber verstehen Marketing anders; sie überlassen die Innovation den Ingenieuren, die Preissetzung den Finanzmanagern, und Distributionsstrategien entwickeln sie selbst. Statt zum Koordinator wird Marketing dadurch zum Handlanger – der in der Erwartung, dass der Kunde die eigenen Produkte bei entsprechend geschickter “Vermarktung” schon kaufen wird, Angebote in den Markt drückt, Kundenwünsche hin, Kundenwünsche her. Nach einer Studie der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung übt das Marketing heute nur noch in einem Drittel der Unternehmen eine Koordinationsfunktion aus.

An diesem Punkt werden all jene Leser, die noch nie große Sympathie für das Marketing empfunden haben, fragen: “So what?” Warum sollte das ein Problem sein – außer vielleicht für den Kunden, der sich für all die leeren Marketingversprechungen Vermeidungs- und Umgehungsstrategien zurechtlegen muss? Weil fehlende (oder falsch verstandene) Kundenorientierung eine Gefahr für die Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit ist.

 

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